In „Berliner Bessermacher" sprechen wir mit Berliner Unternehmen und Unternehmern darüber, wie nachhaltiges Wirtschaften in der Region aussehen kann. Heute mit: Dr. Florian Sicks vom Tierpark Berlin Friedrichsfelde. Über den Zoo als moderne Arche. Über Tiere, die Menschen anfassen. Und über ein Forschungsprojekt, das aus Tiermist Biokohle erzeugen will. Weil es nicht zu spät ist, das Artensterben zu stoppen!

BR: Hallo Herr Dr. Sicks. Bitte stellen Sie sich kurz vor.

Dr. Florian Sicks (FS): Ich bin der Stellvertretende Zoologische Leiter im Tierpark Berlin. Nach meinem Biologiestudium habe ich zum Schlafverhalten der Giraffen promoviert und bin seit 2010 als Kurator im Tierpark Berlin unter anderem für das Wohlergehen von Giraffen, Eisbären und Schnabeligel zuständig.

BR: Was macht Ihr Unternehmen? Und vor allem: was macht Ihr Unternehmen besonders gut, wo liegt Ihre Superkraft?  

FS: Wir sind Weltverbesserer, genau wie Sie. Nur unsere Herausforderungen und Lösungsansätze sind etwas andere: Wir schätzen unsere Erde als einen Ort des Artenreichtums und des vielfältigen Lebens. Doch in den vergangenen Jahrzehnten wurde ein großer Teil aller Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen ausgerottet. Wir sind der Ansicht, dass es noch nicht zu spät ist, um dieses vom Menschen verursachte Artensterben zu stoppen. Deshalb haben sich die wissenschaftlich geleiteten Zoos weltweit dem Erhalt bedrohter Tierarten verschrieben. Das gemeinsame Ziel des Natur- und Artenschutzes verbindet uns als Tierpark Berlin mit anderen gemeinnützigen Organisationen weltweit über politische und kulturelle Grenzen hinweg. Neben unserem Engagement in Projekten auf der ganzen Welt findet ein entscheidender Teil der Artenschutzarbeit im Tierpark selbst statt. Als eine Art moderne Arche sichern wir durch Erhaltungszuchtprogramme Reservepopulationen bedrohter Tierarten, wir unterstützen Forschungsvorhaben, deren Erkenntnisse die Basis für Tier- und Artenschutz sind und wir sind ein Ort des nachhaltigen Lernens. Als Botschafter ihrer gesamten Art schaffen die tierischen Bewohner im Tierpark Berlin durch Emotionen etwas, das Lehrbüchern oft nur schwer gelingt: Begeistern, Mitreißen und Sensibilisieren – für bedrohte Tiere, ihre natürlichen Lebensräume und ihren Schutz.

Und das ist unsere Superkraft: Menschen für die Natur begeistern und sie damit auch zu Weltverbesserern machen.  

BR: Damit wir Sie nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verraten Sie uns doch auch einen kleinen Spleen von Ihnen.

FS: Auch wenn ich bereits seit mehr als 10 Jahren Berliner bin und die beiden Berliner Fußball-Bundesliga-Klubs ganz hervorragende Paten von unseren Eisbären und Roten Pandas sind, schlägt mein Herz doch insgeheim für Eintracht Frankfurt.

In „Berliner Bessermacher" sprechen wir mit Berliner Unternehmen und Unternehmern darüber, wie nachhaltiges Wirtschaften in der Region aussehen kann. Sprechen Sie mit!

BR: Stichwort Berlin: Was macht Berlin für Sie zu einer lebenswerten Stadt?  

FS: Zunächst einmal steigert natürlich die außergewöhnliche Tatsache, dass wir in Berlin gleich zwei große zoologische Einrichtungen in einer Stadt haben, die Lebensqualität hier ganz enorm (lacht). Aber im Ernst: Eine Stadt mit zwei Zoos, das ist in Deutschland quasi einzigartig. Und mit unseren insgesamt gut 30.000 Tieren aus rund 2.000 Arten tragen wir natürlich auch einen gewissen Anteil zu der berühmt-berüchtigten Vielfalt dieser Stadt bei.

Mir persönlich gefällt hier aber auch sehr gut, dass man es trotz Großstadtflair mit kulinarischer Vielfalt und einer lebendigen Musikszene nie weit bis in die nächste „Wildnis“ direkt vor den Toren der Stadt hat.

BR: Was bedeutet der Begriff Nachhaltigkeit für Ihr Unternehmen oder für Sie persönlich?

FS: Das Patentrezept für mehr Nachhaltigkeit gibt es nicht, doch dass sie bei all unserem Denken und Handeln immer im Mittelpunkt stehen sollte, ist inzwischen wohl unumstritten. Für mich ist der Umgang mit unseren Ressourcen hierbei ein sehr zentraler Punkt. Der Druck auf die letzten verbliebenen Orte, die wir den Wildtieren noch lassen, nimmt zusammen mit der wachsenden Weltbevölkerung und ihren Bedürfnissen immer weiter zu. Wie verschwenderisch wir mit den kostbaren Reserven umgehen, zeigt der jährliche „Welterschöpfungstag“ oder „Earth Overshoot Day“. Das ist der Tag, an dem die natürlichen Ressourcen, die die Erde für uns bereithält, für das ganze Jahr aufgebraucht sind. Nachhaltig wäre es also, wenn dieser Tag frühestens am 31. Dezember käme – doch momentan haben wir bereits im Juni unsere jährlich verfügbaren Ressourcen aufgebracht. Wir leben also deutlich über unseren Verhältnissen. Man könnte denken, dass mit dem wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit, dieser Welterschöpfungstag jedes Jahr ein bisschen später fallen sollte. Doch das erschreckende ist: Er kommt jedes Jahr früher!

Ein wichtiger Lösungsansatz ist aus meiner Sicht die kritische Reflektion und das Anpassen unseres Konsumverhaltens. Ich denke, wir sollten beispielsweise viel mehr darauf achten, woher unsere Nahrungsmittel stammen und ob wir wirklich all das brauchen, was wir tagtäglich so kaufen. Allein in den letzten Jahrzehnten hat sich zum Beispiel unser Fleischkonsum pro Kopf verdoppelt. Wussten Sie, dass zwei Drittel aller landlebenden Säugetiere Nutztiere sind? Wildtiere machen hier nur noch einen winzigen Anteil von 4% aus – der restliche Anteil sind Menschen. Das finde ich alarmierend.

BR: Geben Sie uns bitte ein Beispiel für Nachhaltigkeit in Berlin / in Europa / auf der Welt, welches Sie nachhaltig beeindruckt hat.

FS: Schon in den 1990er Jahren präsentierte BMW ein Wasserstoffauto auf der IAA. Dieses Prinzip hat mich damals sehr beeindruckt. Leider ist diese Technologie seitdem aber kaum vorangekommen. Ein weiteres Beispiel, das Grund zur Hoffnung gibt, ist das EU-Verbot von Einwegplastik. Täglich gelangt tonnenweise Plastik ins Meer und zerstört dort den Lebensraum verschiedenster Organismen. Prognosen sehen im Jahr 2050 mehr Müll als Fische in unseren Ozeanen schwimmen. Selbst bei leicht zersetzbaren Kunststoffprodukten bleiben noch kleine Partikel in Form von Mikroplastik übrig, die durch die Tiere aufgenommen werden und dort unverdaut erhalten bleiben – mit nicht absehbaren Folgen für die Tierwelt.

BR: Welchen Beitrag kann die regionale Wirtschaft leisten und welchen Beitrag kann Recycling leisten, damit die Stadt Berlin nachhaltiger und lebenswerter wird?

FS: Jeder kann einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Ich wünsche mir von der regionalen Wirtschaft beispielsweise eine Revolutionierung der To-Go-Kultur. Der Verpackungsmüll von Lebensmitteln hat gerade in den Corona-Zeiten nochmal enorm zugenommen und auf die Bequemlichkeit durch Coffee-to-Go und Lieferservices wird niemand mehr verzichten wollen. Deshalb brauchen wir neue Ideen wie z.B. Pfandsysteme.

Auch der Tierpark Berlin sucht laufend nach neuen Möglichkeiten, den Betrieb hinsichtlich der Nachhaltigkeit weiter zu optimieren. In Bezug auf Recycling testen wir derzeit zusammen mit der Freien Universität Berlin wie unser Tiermist in Biokohle verwandelt werden kann. Bei uns im Tierpark fallen jährlich ca. 8.000 m³ Mist und rund 16.000 m³ Laub an. Die Umwandlung in Pflanzenkohle wirkt dem Klimawandel durch die Förderung der Kohlenstoff-Speicherung in Böden und der Reduzierung von Treibhausgasemissionen entgegen. Der Biokohlekompost kann dann wiederum in unseren oder anderen Berliner Pflanzungen eingesetzt werden, was den gesamten organischen Stoffkreislauf optimiert.

Recycling spielt bei der Einsparung von Ressourcen eine ganz bedeutende Rolle und kann ganz sicher auch zu einer lebenswerteren Stadt beitragen. Wenn wir die Recyclingquote unseres Abfalls in Berlin – und auch darüber hinaus – noch weiter erhöhen können, tragen wir damit auf zweierlei Wegen zum Artenschutz bei. Zum einen werden durch die Wiederverwertung von Ressourcen weniger Lebensräume von Wildtieren zur Rohstoffgewinnung zerstört. Zum anderen bedeutet weniger Müll in Straßen, Parks und Flüssen nicht nur ein ansprechenderes Stadtbild, sondern auch weniger Verschmutzung unserer Meere.

BR: Was sind die größten Herausforderungen, die man dabei überwinden müsste? Und aus welchem Bereich erwarten Sie gute Lösungen? Politik oder Bürger? Wirtschaft oder Kunden? Startups oder Technik?

FS: Ich erhoffe mir von allen Akteuren gemeinsam ein größeres und aufrichtigeres Engagement bei der Suche nach kreativen Lösungen für einen nachhaltigeren Umgang mit unseren Ressourcen. Wissenschaft und Forschung müssen weiterhin an Alternativen für Plastik, Aluminium, fossile Energieträger und Co. arbeiten. Auch wenn es hier mit Kinderspielzeug aus Maisstärke, kompostierbaren Müllbeuteln und Autos mit Elektroantrieb schon viele innovative Ansätze gibt, führen diese Lösungen oft zu neuen ökologische Herausforderungen. Und neue Forschungsschwerpunkte sind auch immer von finanziellen Mitteln abhängig, welche Politik oder Wirtschaft erst einmal bereitstellen müssen, indem sie diesen Themen Priorität einräumen.

Im oben genannten Beispiel zum EU-Verbot von Einwegplastik wird deutlich, welche Steuerungsmöglichkeiten die Politik als wichtiger Treiber der Nachhaltigkeitsbestrebungen hat. Die wiederum wird durch die Ansichten der Wähler beeinflusst. Die Wirtschaft wiederum reagiert auf Kundenwünsche. In den Köpfen findet inzwischen bereits ein Umdenken statt. Noch vor zehn Jahren war es eine Selbstverständlichkeit, für seine Einkäufe in eine kostenlose Plastiktüte zu bekommen. Heute gehören nicht nur in meiner Nachbarschaft Einkaufskorb und Jutebeutel zum guten Ton.

Und genau hier setzen wiederum wir im Tierpark an. Wir möchten für die Wählerinnen und Wähler und Kundinnen und Kunden die direkte Verbindung zwischen ihrer Wahl und der Konsequenz für Eisbär, Orang-Utan und Sumatra-Tiger verdeutlichen. Wir zeigen auf, dass neben Wilderei und Klimawandel die Zerstörung der Lebensräume die größte Gefahr für die verbliebenen Wildtiere ist. All diese Bedrohungsfaktoren sind letztlich darauf zurückzuführen, dass zu viele Menschen auf diesem Planeten zu viele Ressourcen verbrauchen.

BR: Würde man das Ausmaß des Klimawandels mit einer Uhr messen, wie spät wäre es dann?

FS: Wenn ich mir die Eisbären in der Arktis so ansehe, ist es in manchen Bereichen tatsächlich wohl schon fast zu spät. Das Klima ist ein komplexes Phänomen und ich vermag nicht zu beurteilen, welche einzelnen Maßnahmen, wo in der Welt welche konkreten Konsequenzen hervorrufen werden. Doch ich bin mir recht sicher, dass der Erhalt der Artenvielfalt entscheidend für unsere Zukunft sein wird. Denn die Natur ist ein Kreislauf, in dem Lebewesen sich gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängig sind. Wird diese Kette unterbrochen, funktionieren die Prozesse der Natur nicht mehr. Auch der Mensch ist Teil dieser Biodiversität und ist genauso auf die Vielfalt des Lebens angewiesen wie all die anderen Tiere oder die Pflanzen.

Als Tierpark Berlin setzen wir vor allem auf den Schutz unserer Regenwälder, denn hier sehen wir eine ganz zentrale Schnittmenge zwischen Arten-, Umwelt- und Klimaschutz. Wenn wir die Abholzung unserer letzten grünen Lungen verhindern oder bereits verlorene Wälder wiederherstellen können, leisten wir damit nicht nur einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt der Biodiversität, sondern auch zur Stabilisierung unseres Klimas weltweit.

BR: Bekommen wir es trotzdem hin?  

FS: Das müssen wir. Denn wie heißt es so schön: Es gibt keinen Plan(et) B.

BR: Herr Dr. Sicks, ganz herzlichen Dank, dass Sie mit dem Tierpark Berlin zu einer vielfältigen, nachhaltigen Hauptstadt beitragen und sich die Zeit für uns genommen haben!

 

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