In „Berliner Bessermacher" sprechen wir mit Berliner Unternehmen und Unternehmern darüber, wie nachhaltiges Wirtschaften in der Region aussehen kann. Herr Wolf Raber ist Forscher aus Berlin und hat mit Kollegen ein innovatives Verfahren entwickelt, um aus ungenutzten Speiseresten neue Produkte zu erschaffen.

BR: Hallo Herr Raber, stellen Sie sich doch bitte einmal vor.

Wolf Raber (WR): Hallo, ich bin Wolf Raber und Umweltingenieur. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Aspekten der Kreislaufwirtschaft und der Wiederverwendung sowie der effizienten Nutzung unserer Ressourcen.

BR: Was gefällt Ihnen an Berlin am Meisten?

WR: Mir gefällt am besten, dass Berlin als Stadt einen großen Facettenreichtum bietet und in allen Belangen sehr bunt ist. Es gibt viele unterschiedliche Menschen, Kulturen und Ansichtsweisen, die für einen belebten Austausch sorgen. Außerdem sind Berliner sehr ehrlich. Hier wird mit der eigenen Meinung nicht hinter dem Berg gehalten. Das schätze ich.

BR: Wie sieht Ihr akademischer Hintergrund aus?

WR: Ich habe technischen Umweltschutz mit Fokus auf Wasserwirtschaft und Wasseraufbereitung in Berlin studiert. An einer niederländischen Universität habe ich noch einen Master in internationalem Land- und Wassermanagement absolviert.

Im Anschluss war ich als junger, abenteuerlustiger Mensch viel in der Welt unterwegs, um die gelernte Theorie in die Praxis umzusetzen. Unter anderem in Afrika, in Südamerika und Marokko, wo ich die Einheimischen zu Trockentoiletten, urbaner und ländlicher Abwasserwiederverwendung, Trinkwasser und der Anpassung an den Klimawandel beraten habe.

BR: Welche Erkenntnisse hieraus haben Sie besonders geprägt?

WR: Eine besonders wichtige Lehre ist, dass unsere Abfälle nie verschwinden. Jedes Material, das wir entsorgen, taucht entweder im Wasser, im Boden oder in der Luft wieder auf. Verbrennt man Abfälle, sind sie zwar nicht mehr sichtbar, ihre Rückstände wirken sich über die Luft aber weiterhin auf Mensch und Umwelt aus – besonders prominent ist dieses Phänomen derzeit am Thema Mikroplastik zu beobachten. Aus diesem Grund setze ich mich zum Wohle folgender Generationen dafür ein, Abfälle sowie Abwasser als Ressource in Produktionskreisläufe zurückzuführen.

BR: Wie sieht Ihre heutige berufliche Tätigkeit aus?

WR: Aktuell arbeite ich für das Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung (ILU), welches mit interdisziplinären Teams von Forschern, Chemikern und Technikern neue Produkte und Rohstoffe für eine biobasierte Wirtschaft entwickelt. Wir erarbeiten neue Methoden, um vorhandene Ressourcen bestmöglich zu nutzen und Materialkreisläufe zu schließen.

Ein wichtiger Aspekt ist die Analyse industrieller Produktionsketten und der entstehenden Abfallprodukte. So landen bei Nahrungsherstellern die grünen Zweige von Tomaten oder Obst- und Gemüseschalen in großen Mengen in der Tonne - wir überlegen uns, wie diese stattdessen für neue Produkte genutzt werden können.

BR: An welchen Projekten sind Sie derzeit beteiligt?

WR: Ich befasse mich zurzeit hauptsächlich mit dem Projekt „Waste to Resource Unit“. Mit Speiseresten und biologischen Abfällen züchtet unser Team Mikro-Algen, die für die Herstellung von Lebensmitteln, Tiernahrung oder Industriechemikalien genutzt werden können. Wir entwickeln also neue Produkte und führen gleichzeitig Abfall in den Produktionskreislauf zurück.

BR: Welche Produkte können aus diesen Algen hergestellt werden?

Algen aus Speiseresten im ReagenzglasWR: Die Algen eignen sich für die Herstellung einer großen Bandbreite an Produkten. Allerdings muss man zunächst nach Art der organischen Reststoffe unterscheiden:

Reste aus der Lebensmittelherstellung gelten zunächst nicht als Abfall und können für die erneute Produktion von Nahrungsmitteln genutzt werden. Aus ihnen entstehen zum Beispiel vegane Schnitzel, Brote oder Kekse sowie eiweißreiche Futtermittel für Nutz- und Haustiere. Auch eine entzündungshemmende Wirkung haben wir festgestellt, wodurch der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht reduziert werden könnte.

Sind die Reste aber einmal in der Tonne gelandet, dürfen sie aufgrund geltender Hygienevorschriften ausschließlich als Rohstoff für Industrieprodukte dienen. Hier können sie zu Farbpigmenten, Beschichtungen oder Kleb- und Bio-Kunststoffen verarbeitet werden.

BR: Lohnt sich der Aufwand?

WR: Ja - alle Produkte mit diesen Algen, weisen deutliche Vorteile gegenüber den bisher gängigen, chemisch hergestellten Varianten auf, sind günstiger in der Herstellung und schonen unsere Umwelt.

BR: Wie läuft der Herstellungsprozess ab?

Reaktor für AlgenproduktionWR: Vereinfacht ausgedrückt, geben wir Speiseresten und biologischen Abfällen Enzyme hinzu, welche die Zellwände der organischen Materialien aufbrechen. Hierbei wird eine nährstoffreiche Flüssigkeit freigesetzt, die als Nahrung für unsere Mikroalgen dient. Sie vermehren sich und produzieren Stärke sowie Proteine mit vielen interessanten Eigenschaften.

Nach diesem Prozess filtern wir unverwertbare Reststoffe heraus und liefern sie an Biogasanlagen, welche sie für die Energiegewinnung nutzen. Nach der enzymatischen Behandlung hat sich die Biomasse um 80 Prozent reduziert, was die Logistik und Anlagengrößen für Abfallunternehmen entlastet. Gleichzeitig erhöht sich die Effizienz der Biogasanlage, da sie mit weniger Materialmasse mehr produzieren, als es mit derselben Menge unbehandelter Abfälle der Fall wäre.

BR: Welche Abfälle können Sie hierfür nutzen?

WR: Wir suchen vor allem nach biologischen Abfällen und Speiseresten, die noch nicht wiederverwertet werden. Abfallprodukte aus Brauereien werden zur Herstellung von Tiernahrung oder vertrocknete Backwaren für die Produktion von Paniermehl genutzt und kommen somit nicht in Frage. Backwaren mit tierischen Proteinen, wie Schinken-Baguettes oder überlagerte Waren, Nebenprodukte aus der Lebensmittelherstellung sowie Obst- und Gemüseschalen werden hingegen entsorgt. Solche ungenutzten, biologischen Rohstoffe suchen wir.

BR: Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

WR: Wir entwickelten das Verfahren im Rahmen einer Challenge des deutschen Nachhaltigkeitspreises zur urbanen Bioökonomie. Wir stellten hierfür ein Team aus fünf Wissenschaftlern zusammen und mehr oder weniger zufällig trafen optimale Expertisen aufeinander. Unser Team bestand aus Experten für Extraktion und Algenzucht - ich hatte den Blick für die praktische Anwendung in der Kreislaufwirtschaft. Das hat so gut zusammengepasst, dass dieses Verfahren zustande kam. Bei der Challenge erreichten wir das Finale und ich beschloss, diese Idee im Anschluss weiter zu verfolgen.

BR: Wie würde eine Fabrik zur Herstellung der Algen aussehen?

Reaktorspirale zur Verwertung von SpeiserestenWR: Generell möchten wir keine große Fabrik bauen, sondern stellen uns eine dezentrale Produktion vor, die den Entsorgungsunternehmen einen größeren logistischen Aufwand erspart. Die Anlage soll auf dem eigenen Gelände oder im besten Fall am Entstehungsort der Reststoffe betrieben werden und autark die wertvollen Algen herstellen. Wir arbeiten daran, dass auch die Käufer der Algen vorab feststehen und für die Entsorgungsunternehmen ein schlüsselfertiger Betrieb der Anlage ermöglicht wird. Das Verfahren soll sich nahtlos in den laufenden Geschäftsbetrieb einfügen können.

BR: Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung?

WR: Derzeit arbeiten wir mit Partnern an der Skalierung der Prozesse. Wir stellen eine größere Menge der Algen und ihrer Extrakte her, um sie unseren Industriepartnern für Praxistest zur Verfügung zu stellen. Sie sollen die Herstellung ihrer Produkte testen und ein Proof-of-concept für die Verwertung liefern. Das ist ein zentrales Etappenziel für die weitere Umsetzung und Vermarktung des Verfahrens.

BR: Würde man das Ausmaß des Klimawandels mit einer Uhr messen, wie spät wäre es dann?

WR: Ich glaube, es ist bereits fünf nach zwölf und sind meine Kinder erstmal erwachsen, wird es wahrscheinlich sehr ungemütlich. Die ersten Auswirkungen des Klimawandels erfahren wir bereits und die langfristigen Folgen für unser Ökosystem sind kaum absehbar. Wir sollten sämtliche Energien und Ressourcen aufwenden, um die Ausmaße einzudämmen und uns den kommenden Bedingungen anzupassen.

BR: Bekommen wir es trotzdem hin?

WR: Wahrscheinlich muss die Dringlichkeit noch größer werden, bevor richtig etwas passiert. Das fiel mir besonders nach dem Hochwasser im Ahrtal auf. Kaum war das Kind in den Brunnen gefallen, war die Motivation sehr hoch künftige Katastrophen dieser Art zu verhindern und entsprechende Maßnahmen zu finanzieren. Die Menschheit scheint träge und ich befürchte, es sind noch viele Trockensommer und Starkregen nötig, bevor drastische Änderungen durchgesetzt werden. Ich hoffe allerdings, dass es nicht so weit kommt, denn Möglichkeiten sind in fast jedem Bereich vorhanden.

Herr Raber, wir danken Ihnen für das spannende Interview.

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